Sonntag, 10. Oktober 2010

Hans Pfleiderer – was zu tun ist: zwanzig-zehn


Was zu tun ist Zwanzig-Zehn
Zur Eröffnung einer Bilderschau des Malers Hans Pfleiderer

von
Frank Werner Pilgram


„Was zu tun ist“ nennt Hans Pfleiderer seine Ausstellung, die zu eröffnen ich heute die Ehre und das Vergnügen habe. Also nicht mehr „Was tun?“, wie Lenin 1902 noch direktiv, mit Fernwirkung bis in die 70ger Jahre hinein, fragte, sondern — nach dem inzwischen vieles „… zu … ist“, was damals in der Geschichte noch offen schien — ein den Desillusionierungs- und Enttäuschungsprozessen des vergangenen Jahrhunderts gemäßes, ironisch zweideutiges Diktum, das sich sowohl auf die Arbeitsforder- und -förderung der neudeutsch „Jobcenter“ genannten Sozialbürokratie beziehen läßt, als auch, emphatisch, auf die innere Notwendigkeit des Schaffens, die den Künstler treibt. Aber „was ist“, wenn sich beides als Ergebnis der rotgrünen Sozialstaatsreform, als Agenda genannt nach dem Zieldatum Zwanzig-Zehn, durchdringt? „Tun ist“ für den schöpferischen Menschen, will er nicht in Melancholie versinken, ein Lebenselixier, und gut ist der Zustand des Staats, der dafür weise einen Teil seines Etats zur Verfügung stellt. Daß sich dabei der himmlisch-mariologische Herrschaftstempel des Bundeskanzlerinnenamts auf dem Titelbild der Ausstellung abwärts in eine schwarze Mercedes-Limousine spiegelt, die im Begriff steht, den Menschen auf die Kühlerhaube zu nehmen, muß als die Kehrseite dieser Verhältnisse erkannt werden. Derart beim Sonnen-auf-grüner-Wiese überfahren und hochgeschleudert zu werden, kann einen auch ohne Sonnenbrand rot vor Wut machen. „Was zu“ der Überlegung führt, wie der heftige Affekt, den die fragwürdige soziale Gerechtigkeit erzeugt, fruchtbar verwendet werden kann. Neben der unumgänglichen politischen Antwort führt uns das zu der davon nicht ganz verschieden Position der Kunst zurück, die aus dem Imperativ der Fremdbestimmung immer wieder ein Reich der Freiheit zu erschaffen versteht.


Ein wesentlicher Bündnispartner für dieses Unterfangen ist den Artisten dabei von alters her der Traum
der kleine, individuelle, dem wir uns alle im Schlaf hingeben und der große, den die Gattung ebenso vielfältig wie kollektiv von ihrer Zukunft träumt. Der ist also, mit einem Wort Klaus Heinrichs gesprochen, „nicht nur der >Wächter des Schlafes< (Freud), sondern er arbeitet auch an einem anderen Erwachen“. Um letzterer Aufgabe gerecht zu werden, muß er sichtbar gemacht, Erscheinung werden. Hans Pfleiderer’s Tun gilt dem seit langem. Was er uns in seiner Agenda — was doch auch ein anderes Wort für Schreibtafel, Merk- und Notizbuch ist zur Verhandlung stellt, ist eine nächtlich-phantastische Welt, die sich gegenüber der banal realen als die wirklichere erweisen könnte. Wenn man vergegenwärtigt, daß alles Faktische, auf das sich seine selbsternannten Sachverwalter so gerne im Sinne eines immer Gültigen berufen, selbst aus nichts anderem als dem menschlichen Begehren hervorgetrieben wird, kann man ermes-sen, mit welcher Schöpfermacht wir es dabei zu tun haben. Daß sich die Wunschproduktion des Unbewußten auch in Träumen, aller Lockerung zum Trotz, die der Schlaf mit sich bringt, nicht frei von Zensur entfaltet, ja, daß die verbietende Einschränkung überwachender, kritischer Instanzen geradezu eine unverzichtbare Stimulans für den formalen und intellektuellen Erfindungsreichtum an Formen und Farben, Ideen und Schlichen ist, wird nicht überraschen wenn man bedenkt, daß der große Daimon, genannt Eros, von Alters her sowohl ein Gott der Fülle wie des Mangels war. Das göttliche Kind der Liebe und des Krieges läßt uns etwas von unserer je eigenen Kindheit, in deren Sichtweisen und Gefühle uns der Traum so oft zurückversetzt, erinnern. Von Freud haben wir gelernt, daß es kein Nachtgesicht ohne einen Kern von verdrängten infantilen Reminiszenzen gibt. Die Bilder, die wir hier sehen können, sind daher nicht von ungefähr den Kinderzeichnungen verwandt. Wohlgemerkt, die Naivität des wilden Malers ist eine scheinhafte, denn als Erwachsener wieder einen Zugang zu den verschütteten Quellen der eigenen, frühen Vergangenheit zu finden, erfordert die ganze Arbeit und Anstrengung, die Fertigkeiten und Geduld reifen Könnens. So leicht und hemmungslos es nun daher kommt sollten wir nie vergessen, daß es durch die Reflektion hindurchgegangen ist, um zur gültigen Form zu werden.


Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch aus eigener Erfahrung, woran in der Regel die anfängliche Kreativität des Kindes beim Malen zu Grunde geht: es ist die unbarmherzige Forderung, die die Herrschaft der den Raum ordnenden Zentralperspektive an die noch mangelhaften Fähigkeiten stellt. Das Kind ist mit dem Erwachen seines Gewissens plötzlich beschämt, daß seine bunten, symbolgesättigten Bilder nicht ‚realistisch‘ wirken, eben so, wie es die allgegenwärtige Photographie diktiert. Wohlmeinende Belehrungen der Eltern oder der Lehrer tun dann ihr übriges. Im Namen des väterlichen Signifikanten ist es geneigt, seine bis dato phantastischen Produktionen zu verwerfen, und nur sehr wenigen gelingt es, durch die Kränkung und Disziplin der räumlichen Darstellung hindurch später noch einmal, auf nun ganz neuem, verwandelten Niveau, an das erste Erwachen der Kreativität anzuknüpfen. Bei Hans Pfleiderer haben wir es mit solch einem Glücksfall zu tun. Er ist nicht den vergleichsweise bequemen Weg des abstrakten Expressionismus in die gegenstandlose Malerei, deren Verdrängungsanteile nach dem zweiten Weltkrieg man bis heute gerne übersieht, gegangen, sondern hat konsequent und wie verfremdet auch immer an der Erzählung festgehalten, mit der uns jeder Traum bereichert. Die Bildergeschichte in jeweils einem Bild, also ein durch Kunst geschaffener Nabel des Traums, führt die unwillkürliche nächtliche Produktion noch einmal fort und damit über sich hinaus in die allgemeine Verbindlichkeit: Verdichtung des schon Verdichteten aber ist Poesie. Das ist die Agenda, an der teilzuhaben ich Ihnen mit dem hier gezeigten Werk wünsche.

© Frank Werner Pilgram 2010
Prinzregentenstraße 7
D-10717 Berlin-Wilmersdorf
eMail: Frank.Pilgram@t-online.de


Träume in Bildern

Der Berliner Künstler Hans Pfleiderer malt seine Träume. Tag für Tag entstehe auf diese Weise ein Bild, Wochenenden und Urlaub ausgenommen [...].

"Hans Pfleiderer ist ein Freund der schnellen Geste", sagt Matthias Körner (Direktor, Cottbuser Galerie «Haus 23»). Er freue sich, wenn es ihm gelinge, gerade Geträumtes mit wenigen Strichen und Farbflächen aufs Papier zu bannen, es in eine für den Augenblick gültige Form zu bringen und somit haltbar zu machen. Mit seiner Malweise habe sich der Berliner, der neben Kunst auch Philosophie, Literatur und sogar Sport studiert habe, die Art von Kindern zurückerobert. An seinen Werken doktere er nicht lange herum. "Das Bild ist wie es ist", so Körner.

Was der Betrachter sieht, sind abstürzende Flugzeuge, ein dunkler Kinosaal, in dem die Zuschauer überallhin schauen, nur nicht auf die Leinwand. Ein gruselig anmutender Nachtzug oder eine schwarze Gondel vor einer Stadtkulisse, die nur Venedig darstellen kann. Auf einem anderen Bild wieder drehen Lollis ihre bunten Kreise. "Übergabe" hat Hans Pfliederer das Ölbild genannt, [...] auf dem ein Schlüssel den Besitzer wechselt.

"Hans Pfleiderer ist ein Maler, der sich ausschließlich seiner Intuition verpflichtet fühlt", sagt Matthias Körner. Durch sein schier unermüdliches Üben des unmittelbaren Ausdrucks sei er in der Lage, das zunächst ganz Private auf eine neue Ebene zu heben. So habe der Betrachter am Ende das Gefühl, alles bereits erlebt zu haben, nicht nur im Traum.

Ulrike Elsner (Lausitzer Rundschau)

All four photos of the exhibition opening
copyright 2010 by Alvaro Calderón de Ayala Fernández